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Mit dem Mustang GT durchs Kanaltal

Diese Rundtour ist eine Reise in eine lange zurückliegende Vergangenheit. Wer behauptet, Norditalien wäre im Vergleich zum Süden doch so reich, der kann sich hier vom Gegenteil überzeugen. Reich ist die Region nur an Lost Places. Gerade das Dreiländereck im Osten überzeugt aber auch mit sehenswerter Landschaft und idyllischen Plätzchen für Ruhesuchende. Und man lernt hier ein Italien kennen, das man so nicht erwartet hätte!

Ford Mustang GT Convertible weiß vor Lago di Predil (Predilsee)
Ein Highlight auf der Tour ist der idyllische Lago di Predil (Predilsee)

Wer kennt sie nicht, die Autobahn A23 von der Staatsgrenze durch das oberitalienische Kanaltal, die sich überwiegend auf Stelzen und durch zahlreiche Tunnel durch das enge Tal bis kurz vor Udine windet. Täglich befahren von tausenden Strandsehnsüchtigen. Schon mal überlegt, was sich so unter der Autobahn abspielt? Gar Beängstigendes, aber auch Idyllisches! Es lohnt sich also, mal ein Stockwerk tiefer zu blicken.

Kanaltal, Racccolana-Tal
73 km eignen sich hervorragend für eine Halbtagestour

Die Rundtour durch das Kanal- und Raccolana-Tal startet kurz nach der österreichisch-italienischen Grenze in Tarvis. Der Ort ist seit Jahrzehnten bekannt für seinen riesigen Leder- und Bekleidungsmarkt mitten im Ort, vor dem Schengen-Beitritt Österreichs Umschlagsplatz für begehrte "Schmuggelware", die beim Grenzübertritt verstohlen irgendwo im Auto vor den misstrauischen Zollbeamten versteckt wurde. Seit Lederwaren nun ganz legal und ohne Nervenkitzel über die Grenze gebracht werden können, hat der Markt deutlich an Anziehungskraft verloren, auch wenn er erst kürzlich ein neues, wetterfestes und attraktives Zuhause bekommen hat. Die halbe Halle steht leer, und die wenigen verbliebenen Händler sind umso aufdringlicher. Wer gerne feilscht, kann dennoch das eine oder andere Schnäppchen ergattern und sich im benachbarten Café unter Gleichgesinnten (vorwiegend ältere Leute aus Kärnten) noch einen Eiskaffee gönnen.


Etwas weiter nördlich des Marktes, direkt an der Staatsstraße SS13 ("Pontebbana") Richtung Staatsgrenze, ist deutlich weniger Betrieb. Genau genommen gar keiner mehr, seit der dort gelegene Bahnhof Tarvisio Centrale im Jahr 2000 stillgelegt wurde. Die Bahngleise verlaufen jetzt weiter östlich, und ohne Bahngleise ist auch ein Bahnhof obsolet. Wie so oft in Italien wurde das Gebäude einfach sich selbst überlassen und ist seither einer der bekanntesten Lost Places in Oberitalien. Nur wenige Meter entfernt verläuft der Alpe Adria Radweg, von den vorbeiradelnden Sportlern nimmt allerdings kaum jemand Notiz davon. Wer sich jedoch in eine apokalyptische Endzeitstimmung versetzen möchte, sollte sich die Bahnsteige und die verlassenen Hallen näher ansehen. Es sieht aus wie nach einer massiven Explosion, keine Glasscheibe ist mehr ganz. Dass der Vergleich nicht ganz hinkt, werden wir später noch erfahren müssen...


Das Haupttor des ehemaligen Bahnhofs ist fest verschlossen. Wer jedoch den Weg am linken Ende des Gebäudes hinunter nimmt und ein paar Meter auf dem Radweg zurückläuft, gelangt völlig ungehindert auf die ehemaligen Bahnsteige. Das Gebäude selbst zu betreten, ist nicht zu empfehlen, zu viele Glasscherben säumen den Weg. Man sieht aber auch von außen sehr gut, was 20 Jahre Stillstand mit einem öffentlichen Gebäude machen. Irgendwie gruselig.


Ein eiskalter Schauer läuft einem auch über den Rücken, wenn man die Geschichte der nächsten Stopps kennt. Die gesamte Region bis ins benachbarte Slowenien war in den napoleonischen sowie in den beiden Weltkriegen strategisch wichtig und daher heiß umkämpft. Unzählige Bunker, Talsperren und militärische Anlagen zeugen davon. Eine davon ist Fort Hensel, auf einem Hügel über der SS13 kurz nach Ugovizza gelegen. Dem weitläufige Fort - benannt nach seinem Erbauer, einem österreichischen Hauptmann der k.u.k.-Armee - kam im Krieg gegen Napoleons Truppen Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle zu: Trotz minimaler Besatzung konnten die vorrückenden Franzosen drei Tage lang aufgehalten werden, wodurch sie verspätet in der Schlacht bei Aspern bei Wien eintrafen und Napoleon seine erste Niederlage hinnehmen musste. Im ersten Weltkrieg standen sich hier Österreicher und Italiener gegenüber. Das Fort wurde jedoch nie offiziell eingenommen, weshalb noch immer die k.u.k.-Kaiserfahne auf der Spitze des Forts weht!

Die Anlage ist frei zugänglich, am besten parkt man auf dem kleinen Parkplatz direkt vor dem Tunnel (Galeria del Forte) kurz nach Ugovizza, wo sich gegenüber ein bekanntes Fischrestaurant mit Fischteichen befindet. Vom Parkplatz ist der Weg aufs Fort beschildert, man braucht nicht mehr als 10 min hinauf. Vorsicht beim Betreten der Anlagen: die Zwischendecken sind eingestürzt und auch im Boden befinden sich unerwartet Löcher, da der gesamte Hügel offenbar untertunnelt ist. Besonders Wagemutige erkunden den offen zugänglichen Stollen, der ins Berginnere führt. Dafür ist jedoch eine gute Taschenlampe Voraussetzung. Unbedingt über den sogenannten "Friedensweg" bis ganz an die Spitze des Hügels gehen, von dort hat man einen unglaublichen Ausblick in alle Richtungen des Tals!


Im kalten Krieg sollen in Oberitalien mehr als 100 Bunkeranlagen gebaut worden sein. Ganz in der Nähe des Fort Hensel, an der Via Saisera zwischen Ugovizza und Valbruna, befindet sich eine solche Anlage, das Fort Beisner. Die Bunkeranlage wurde im zweiten Weltkrieg von den Italienern errichtet und kann im Rahmen von Führungen besichtigt werden (www.landscapesvalcanale.eu). Eine weitere ist die sogenannte Pulveria, eine geheime Militärbasis südlich von San Leopoldo, die jahrzehntelang ein völlig wahnwitziges Geheimnis beherbergte: Da die Italiener wenig Vertrauen in die Neutralität Österreichs als Puffer zwischen dem Westen und dem Ostblock hatten, wurde hier tatsächlich eine Atombombe stationiert! Wären Truppen des Ostblocks zu nahe gekommen, hätte man diese gezündet und so die gesamte Region verstrahlt, um einen weiteren Vormarsch zu behindern. Nicht auszudenken, hätten die Italiener ihr Vorhaben tatsächlich umgesetzt...


Monte Scinauz Seilbahn Talstation Militär
Talstation der Seilbahn auf den Monte Scinauz

Ganz in der Nähe, kurz vor der ersten Hinweistafel auf die Ausfahrt San Leopoldo, befindet sich rechts zwischen SS13 und dem Flussbett der Fella die ehemalige Talstation einer Seilbahn, die, ausschließlich militärisch genutzt, Personen und Material auf den Monte Scinauz beförderte. Dort unterhielt das italienische Militär eine Radarstation. Die Seilbahn wurde demontiert, Station und Gondel blieben übrig und verfallen. Das Gelände ist zwar abgesperrt, auf der dem Fluss zugeneigten Rückseite steht jedoch eine Tür "halboffen", sodass man das Gelände gefahrlos betreten kann, um ein ungewöhnliches Foto zu schießen.




Nach so vielen Krieggeschichten braucht man unbedingt etwas Entspannung! Die findet man glücklicherweise gleich um die Ecke, im beschaulichen Örtchen Bagni di Lusnizza, in dem uns die vor dem einzigen Lokal sitzenden Dorfältesten ungläubig bestaunen, als wir an ihnen vorbeituckern. Einst ein gut besuchter Kurort in der k.u.k.-Monarchie, beherbergt es heute noch eine schwefelhaltige Quelle, deren Genuss gesundheitsfördernd sein soll. Wer diese Wellnesskur genießen will, braucht allerdings einen guten Magen. Der Trinkbrunnen befindet sich in einem Holzpavillon im oberen Teil des Ortes (gut beschildert), und schon beim Eintreten schlägt einem der massive Geruch nach faulen Eiern entgegen. Das Wasser schmeckt zwar besser als es riecht, aber richtig lange hält man es in dem Pavillon nicht aus! Folgt man der Straße, die links am Pavillon vorbei unter der Autobahn durchführt, einige hundert Meter in den Wald, kann man dort an der Quelle die weißen Schwefelablagerungen bestaunen (und riechen). Ein sehenswertes Naturschauspiel! Interessant ist: nur wenige Meter neben der Schwefelquelle verläuft ein weiterer Bach, der jedoch keinerlei Schwefelgehalt aufzuweisen scheint. Kein Wunder also, dass man einst dieses zufällige Quellvorkommen touristisch mit einem Thermalbad nutzen wollte. Geworden ist daraus leider nichts.


Nach der gewöhnungsbedürftigen Entspannung führt uns der Weg ins nur wenige Kilometer weiter gelegene Pontebba, von wo aus man über das Nassfeld nach Kärnten "übersetzen" könnte. Pläne, von hier aus eine Seilbahn auf das bekannte Skigebiet zu bauen, würden der Region bestimmt gut tun, liegen aber auf Eis. Insgesamt scheint im gesamten Kanaltal seit Jahrzehnten nichts mehr investiert worden zu sein. Häuser, Straßen, Brücken, alles verfällt zusehends, die Menschen wandern scharenweise ab. Das gesamte Tal ist ein einziger Lost Place, versprüht aber dennoch den Charme besserer Zeiten.


Ab Pontebba führt die SS13 dann südwärts, durch einen immer enger werdenden Schlurf, an dem die Berghänge links und rechts steil emporragen. Immer wieder spannt sich die Autobahn hoch über den Köpfen über das Tal, das besonders malerisch wäre, hätte man die nimmermüde Asphaltschlange nicht ständig im Blickfeld. In Chiusaforte überqueren wir das Flussbett Richtung Osten, hinein ins deutlich idyllischere Raccolana-Tal. Die Straße führt anfangs am Talboden und durch ausgedehnte Wälder recht eng, aber gut ausgebaut bis nach Stretti. Kurz vor dem Anstieg fällt der Blick rechterhand auf einen imposanten Wasserfall (Fontanone di Goriuda), der sich über mehrere Stufen beinahe über den gesamten Berghang ergießt. Ein kurzer Stopp ist absolut empfehlenswert, linkerhand befindet sich ein Fischteich mit Gasthaus, wo man auch parken kann. Rechts führt ein beschilderter Weg hinauf bis zu einem kleinen See, der die zweite Kaskade des Wasserfalls aufnimmt. Der Weg ist nicht lang (max. 10 min), daher umso lohnenswerter, ist der Wasserfall doch einer der seltenen, die man von hinten betrachten kann! Ein echtes Erlebnis, beinahe wie in Hawaii!


Nach dem imposanten Naturschauspiel steigt die Straße in mehreren Spitzkehren deutlich an. Ungewöhnlich: in den Rechtskurven verschwindet die Straße nach der Kehre in einem unbeleuchteten Tunnel, man weiß nicht so recht, wo es langgeht. Auf etwa 1.100 m Seehöhe erreicht man dann den Neveasattel, auf dem sich ein kleines Skigebiet befindet. Auch dieses Gebiet hat schon deutlich bessere Zeiten gesehen, uralte Gondeln baumeln auf dem stillstehenden Seil, monströse baufällige Hotels haben offenbar früher zahlreiche Gäste aufgenommen. Ein weiteres Zeugnis des Verfalls der gesamten Region, traurig anzusehen.


Talwärts durchquert die breite, aber ebenfalls stark baufällige Straße weitläufige Wälder, ehe der Blick auf die massiven Hänge des auf slowenischem Gebiet befindlichen Mangart fällt und man den südwestlichen Zipfel des Predilsees erreicht. Dieser smaragdgrüne Bergsee liegt malerisch und einsam in einer Talsenke und wird vom Rio del Lago gespeist. Es gibt einige Wassersportanbieter, ansonsten ist hier der tote Hund begraben. Ideal für Ruhesuchende, allerdings gibt es am gesamten See kein einziges Pensions- oder Hotelzimmer. Hierher verirren sich wohl nur wenige.

Predilsee Lago di Predil Predilsattel
Der idyllische Predilsee mit Blick auf den Predil-Pass

Auf der gegenüberliegenden Seite schlängelt sich die Passstraße über den Predil-Pass, die Verbindung nach Bovec in Slowenien. Hier könnte man die Tour rund um den Nationalpark Triglav anhängen (siehe Eine Mustang V6 Tour ins slowenische Nachbarland), falls die Straße nicht wegen dringender Erhaltungsarbeiten (meist auf italienischer Seite) gesperrt ist. Wir halten uns allerdings nördlich und passieren Cave del Predil/Raibl, eine alte Bergwerksstadt mit großer Vergangenheit, aber wenig Zukunft.


1910 erreichte der Ort traurige Berühmtheit, als durch einen Stolleneinsturz das örtliche Krankenhaus "verschluckt" wurde und sieben Personen den Tod fanden. Das stillgelegte Zink- und Bleibergwerk kann im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Lustiges Detail am Rande: in dieser gottverlassenen Gegend werden wir von der Polizei angehalten. Als ich der Polizistin meinen Führerschein überreiche, lacht sie laut auf. Es stellt sich heraus, dass sie den gleichen Nachnamen trägt wie ich. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit dieses Zufalls?


Von Raibl sind es nur noch wenige Kilometer bis nach Tarvis zurück, dem Ausgangspunkt.
























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